Psychotherapie als Beruf 

Warum muss man so lange auf einen Therapieplatz warten?

Ein bedeutendes Problem ist, dass es durchgängig zu wenige Kassensitze für Psychotherapeuten bzw. -therapeutinnen gibt und diese streng limitiert werden. Momentan fehlen laut Einschätzungen von Experten und Expertinnen ca. 7.000-8.000 Therapieplätze, da Niederlassungen von Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen auf 31.000 Sitze momentan (Stand 2020) begrenzt sind. Die Anzahl der Niederlassungen wird jedoch nicht nach Bedarf ermittelt, sondern rein statistisch, was teils zu einer Unterversorgung auf dem Land und teils einer Überversorgung in der Stadt führt. In den letzten Jahren stieg zudem der Bedarf nach Psychotherapie stark an. Dies kann in gesellschaftlichen Faktoren begründet werden, aber auch in einer zunehmenden Offenheit gegenüber psychischen Erkrankungen und einem Bewusstsein für mentale Gesundheit. Untersuchungen der Krankenkassen zeigten immer wieder, dass psychische Probleme zunehmen und mittlerweile sogar der zweithäufigste Grund für eine Frühberentung sind, was allerdings nicht zu mehr Kassensitzen führte. Auch dieser offensichtlich dringende Bedarf an Psychotherapie führte nicht zu mehr Kassensitzen. Dies lässt sich darauf zurückführen, dass die Politik und Krankenkassen Sorge vor einer übermäßigen Zunahme an Kosten haben, wenn noch mehr Therapieplätze geschaffen und in Anspruch genommen werden.

Dabei ist Psychotherapie extrem kostensparend. Es gibt wissenschaftliche Untersuchungen, die belegen, dass jeder Euro, der für Psychotherapie ausgegeben wird, drei Euro für überflüssige Medikamente, überflüssige Untersuchungen und überflüssige Behandlungen einspart. 22% aller niedergelassenen Mediziner und Medizinerinnen sind Psychotherapeuten bzw. Psychotherapeutinnen, aber sie verbrauchen nur 0,4% der Gesamtausgaben im Gesundheitssystem.

Zudem ist der Beruf als Psychotherapeut oder Psychotherapeutin oftmals emotional belastend und verlangt immer wieder Zeit für Reflektion und Recherche. Dazu kommt viel Verwaltungsarbeit, wie z.B. das regelmäßige Erstellen von Gutachterberichten bei Langzeit- oder Fortführungsanträgen. Im Gegensatz zum Hausarzt oder zur Hausärztin ist es bei einer Therapie nicht möglich die Behandlungszeit zu verkürzen, um die Zahl der Patienten und Patientinnen zu erhöhen. Eine Therapiestunde ist festgelegt auf 50 Minuten, die sich inklusive Vor-und Nachbereitung auf 70 Minuten belaufen. Es erfordert daher durchaus sportlichen Ehrgeiz für einen Therapeuten oder eine Therapeutin mit vollem Praxissitz, 30 oder mehr Sitzungstermine pro Woche anzubieten. Gerade in dieser Branche gibt es allerdings relativ viele Therapeuten und Therapeutinnen, die bewusst nur einen halben Sitz haben, um ihre Belastung in Grenzen zu halten und unter dem Strich bessere Therapien zu liefern.

Zusätzlich erfordert eine Psychotherapie nicht nur viele Wiederholungen, bis sich ein neues Verhalten und Erleben etablieren kann, sondern zu Beginn das Wachsen von Vertrauen, bis sich der Patient oder die Patientin wirklich öffnen kann. Man kann sagen, dass die Seele einfach Zeit braucht, um Veränderung zu verwirklichen und zu wachsen. Eine Durchschnittszeit von 60 Sitzungen pro Therapie erscheint daher mindestens notwendig. Auch wenn manche Probleme weit schneller gelöst werden können, gibt es auch schwerwiegende Belastungen, die eher eine lebensbegleitende Therapie erfordern würden als eine Limitierung auf 100 Sitzungen.

Abschließend ist zu betonen, dass die Nachfrage nach Therapieplätzen um ca. das zehnfache höher ist als die verfügbaren Behandlungsplätze bei einem Therapeuten oder einer Therapeutin.

 

Nach Helmut Krauthauser

 

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