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Warum dauert eine Therapie so lange?

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Würde die Einsicht in das eigene Innenleben und die sich daraus ergebenden alltäglichen Muster genügen, dann könnte man mitunter mit deutlich weniger Therapiesitzungen auskommen. Aber ein rein verstandesmäßiges Begreifen von eingeschliffenen Prozessen stellt nur einen kleinen Ausschnitt der Therapie dar. Zunächst muss ja dieser so wesentlich notwendige Rahmen von Vertrauen gemeinsam erschaffen werden. Der Therapeut bzw. die Therapeutin hat die Aufgabe, sein bzw. ihr Gegenüber kennenzulernen, zu erfassen, zu begreifen und nachzuvollziehen. Es reicht nicht aus, sich einfach nur verständnisvoll zu geben, indem man an manchen Stellen wissend und ermutigend nickt. Die therapeutische Aufgabe besteht darin, dieses Verständnis tatsächlich zu entdecken, sonst funktioniert es nicht.

Zudem ist jeder Mensch ein sehr facettenreiches Individuum. Binnen zwei bis drei Sitzungen kann mit Hilfe des breiten therapeutischen Grundwissens lediglich ein schablonenartiges Erfassen des Patienten bzw. der Patientin erfolgen. Dies würde zu sehr an der Oberfläche bleiben, um dem Patienten bzw. der Patientin einen Spiegel anzubieten, in dem er oder sie sich betrachten, erkennen und mit sich besser anfreunden kann.

Dann ist zu bedenken, dass sehr häufig diejenigen in die Therapie kommen, die sehr enttäuschende bis hin zu schwer traumatisierende Erfahrungen mit anderen Menschen gemacht haben. Deren Vertrauen in ihre Mitmenschen ist dann massiv beeinträchtigt. Der Therapeut oder die Therapeutin muss sich oft über einen langen Zeitraum hinweg bewähren, bevor die Öffnungsbereitschaft soweit ist, dass die sensibelsten Bereiche des oder der Betroffenen gemeinsam betrachtet werden können. Bewusst oder unbewusst wird die Vertrauenswürdigkeit des Therapeuten bzw. der Therapeutin auf mehrere leichte bis schwerste Proben gestellt. Je stärker das Vertrauen erschüttert ist, umso schwieriger sind diese Tests zu bestehen. Umso wahrscheinlicher, dass dem Profi (und Menschen) dabei auch mal ein Fehler unterläuft – und sei es nur ein kleiner.

Wie zuvor angedeutet, kann beim Erkennen und Verstehen der Prozess nicht enden. Veränderung ist ja erwünscht und zumeist notwendig und diese braucht Mut. Das vertraute Leid ist so viel näher als das unbekannte Glück. Da weiß man doch wenigstens, was man hat. Also braucht es kleine Schritte mit Erprobungen und Verschnaufpausen. Außerdem sind sehr viele Wiederholungen notwendig, um neue Gewohnheiten so etablieren zu können, dass sie stabil werden und auch in Stress- und Krisenzeiten abrufbar bleiben. Stünde der Patient bzw. die Patientin mit Rückfällen alleine dar, würde alles als Misserfolg verbucht und die Resignation könnte dann größer werden als je zuvor. In der therapeutischen Begleitung kann verstanden werden, dass Rückfälle auf dem Weg zu neuen Ufern eher die Regel als die Ausnahme sind. Gemeinsam kann geschaut werden, was bei diesem Schritt auf wenig ausgetretenen Pfaden dazugelernt werden konnte, so dass es mit immer wieder frischem Mut weitergehen kann. 

Ermutigung und Geduld sind etwas sehr Zentrales in der Psychotherapie. Wie oft mögen wir (alle) im mittleren Alter diesen einen vernichtenden Satz über uns selbst schon gedacht haben? Ist das noch erfassbar? Klar ist: das Neue, Ungewohnte braucht eine ziemlich große Zahl von Wiederholungen, wenn man auf Nachhaltigkeit abzielt.

Es braucht aber nicht unbedingt eine unermessliche Anzahl an Therapiestunden, denn das ganz Wesentliche eines Veränderungsprozesses findet zwischen den Sitzungen statt. Es ist sehr üblich, die Sitzungsfrequenz im Verlauf auszudünnen. So kann der Patient bzw. die Patientin seine bzw. ihre Eigenständigkeit erkennen und ausbauen – auf dem Boden des Rückhalts durch den Therapeuten bzw. der Therapeutin. Übliche Behandlungsumfänge bewegen sich, je nach Schwere und Chronifizierung zwischen 10 und 100 Stunden. (In der Psychoanalyse sind es deutlich mehr Stunden. Dieses Verfahren wird jedoch in unter 10% aller Behandlungsfälle angewandt.)

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